„Tu dir keinen Zwang an“ – Sanierungen brauchen keine Pflicht.

Sanierungspflicht

Am 20. März 2023 warnte die deutsche BILD-Zeitung vor dem „Sanierungswahnsinn“ und titelte besorgt: „Wir haben Angst um unser Zuhause!“. In Deutschland, wo derzeit auch das Gebäudeeffizienz-Gesetz (vulgo: „Heizungsgesetz“) heiß diskutiert wird, gingen die Wogen hoch, als das EU-Parlament eine Verschärfung der geplanten EU-Gebäudeeffizienz-Richtlinie hin zu einer verpflichtenden thermischen Sanierung von hunderttausenden Gebäuden unter gewissen Umständen vorschlug. Doch der Reihe nach.

Ambitionierte Klimaziele bedeuten Notwendigkeit zur Dämmung

Die Europäische Union hat sich das Ziel gesetzt, bis 2050 klimaneutral zu sein, also bilanziell gesehen kein zusätzliches CO2 auszustoßen. Unsere aktuelle Bundesregierung hat es noch eiliger und will Österreich bereits zehn Jahre früher „dekarbonisieren“. Gebäude spielen dabei eine entscheidende Rolle, sind sie doch mit ca. 40% der größte Energieverbraucher in Europa. Dabei verursachen sie rund 36% der Treibhausgasemissionen. Im Gegensatz zum Verkehrsbereich oder der energieintensiven Industrie, gilt die Dekarbonisierung des Gebäudesektors als vergleichsweise einfach. Im Wesentlichen gibt es (nur) zwei ganz große Hebel, um aus fossilen Energieträgern auszusteigen. Zuerst muss der Energieverbrauch des Gebäudebestands stark gesenkt werden, danach auf nachhaltige Energie umgestellt werden.

Dämmen macht erneuerbare Energie 14 mal besser

Im ersten Schritt zur Erreichung der Klima- und Energieziele gilt es vor allem Fassaden dämmen, aber auch die oberste Geschossdecke zu sanieren und Fenster zu tauschen. Erst dann macht es Sinn, auf erneuerbare Energieträger zum Heizen und Kühlen unserer Häuser umzustellen. Wenn ein Haus gut gedämmt ist, braucht man wesentlich weniger (erneuerbare) Energie, Heizsysteme können kleiner und effizienter dimensioniert werden. Ein Beispiel: Eine Stadt braucht pro ca. 19.000 Haushalten oder 50.000 Einwohner:innen nur zum Heizen die Energie von 14 Windrädern, wenn die Häuser zwar mit Wärmepumpen ausgestattet aber ungedämmt sind. Jedoch nur ein Windrad, wenn sie entsprechend gut, auf Passivhaus-Standard, gedämmt sind. Also ist unbestritten die Dämmung ein – wenn nicht DER – wesentlicher Hebel, um unsere ambitionierten Ziele zu erreichen.

Neue EU-Richtlinie setzt den richtigen Schwerpunkt

Das hat auch die EU-Kommission erkannt und daher Ende 2021 eine Novelle der EU-Gebäudeeffizienz-Richtlinie (Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden) vorgestellt. Ein wesentlicher Schwerpunkt ist dabei die Sanierung. Für Renovierungen werden neue Mindestnormen für die Gesamtenergieeffizienz auf EU-Ebene vorgeschlagen, wonach die am schlechtesten abschneidenden 15 % des Gebäudebestands der einzelnen Mitgliedstaaten so modernisiert werden müssen, dass Nichtwohngebäude bis 2027 und Wohngebäude bis 2030 statt der Einstufung G mindestens das Niveau F gemäß dem Ausweis über die Gesamtenergieeffizienz erreichen. Eigentlich auch schon eine Sanierungsverpflichtung.

Sanierung HouseT

EU-Mitgliedstaaten mit vernünftiger Position – Dämmen, aber kein Zwang

Der Rat, bestehend aus Regierungsvertretern der EU-Mitgliedstaaten, hat sich 2022 dazu geäußert und hat etwas andere Vorschläge, um thermische Sanierungen zu forcieren. Er will für Bestandsgebäude Mindestvorgaben für die Energieeffizienz einführen, die der maximalen Menge an Primärenergie entsprechen, die Gebäude jährlich pro Quadratmeter verbrauchen können. Für bestehende Wohngebäude vereinbarten die Mitgliedstaaten jedoch lediglich, Mindestvorgaben für die Energieeffizienz auf der Grundlage eines nationalen Pfads festzulegen, der an der in ihren nationalen Gebäuderenovierungsplänen dargelegten schrittweisen Renovierung ihres Gebäudebestands zu einen Nullemissionsgebäudebestand bis 2050 ausgerichtet ist. Das ist grundsätzlich ein vernünftiger Weg, um Sanierungen anzukurbeln, ohne auf Zwang zu setzen.

EU-Parlament will Sanierungspflicht mit Ausnahmen

Im Frühjahr 2023 hat sich dann auch das EU-Parlament auf eine Position festgelegt. Und die hat es in sich: in allen EU-Mitgliedsstaaten sollen 15 Prozent der schlechtesten Häuser mit den höchsten Energieverbräuchen der Effizienzklasse G zugeordnet werden, ähnlich wie von der EU-Kommission vorgeschlagen. Diese Gebäude sollen dann nach dem Willen der EU-Abgeordneten bis 2030 jedoch auf die deutlich bessere Effizienzklasse E und bis 2033 auf die Effizienzklasse D gebracht werden. Öffentliche Gebäude sowie Nichtwohngebäude sollen die gleichen Klassen drei Jahre früher erreichen. Also eine deutliche Verschärfung gegenüber den ursprünglichen Plänen, die Position des EU-Parlaments kommt einer strengeren Pflicht zur Sanierung gleich.

Unwahrscheinlich, dass es dazu kommt

Nun müssen sich das EU-Parlament und der Rat auf eine gemeinsame Position einigen, so dass die EU-Richtlinie auch tatsächlich beschlossen werden kann. Doch allein das vorhin beschriebene Votum des EU-Parlaments war genug, um bei manchen Medien und Politikern Panik breit werden zu lassen. Von „Sanierungspflicht“ und „Zwangssanierung“ war zu lesen. In Wahrheit gibt es erstens auch in der Position des EU-Parlaments Ausnahmen zur geplanten Verpflichtung, zweitens muss wie erwähnt noch der Rat zustimmen, das gilt als sehr unwahrscheinlich. (In den sozialen Medien wurde sogar gemunkelt, dass Eigentümer, die ihrer Pflicht nicht nachkommen, enteignet werden sollen – sogar in seriösen Medien wurde vor einer  Quasi-Enteignung gewarnt.)

„Dämmzwang“ als Boomerang

Doch auch wenn ein Beschluss eines „Zwangs“ alles andere als fix ist: der Schaden war angerichtet! Ein Thema, von dem immer mehr Menschen aus Eigeninteresse überzeugt sind und freiwillig machen, wurde – zumindest medial – mit dem bösen Wort „Zwang“ in Verbindung gesetzt. Noch dazu soll der (angebliche) Zwang aus Brüssel kommen, ein gefundenes Fressen für EU-Kritiker:innen und Boulevardmedien. Damit kann der Vorschlag zur Verpflichtung zum Boomerang werden und auch jene verärgern und vergrämen, die eigentlich selbst dämmen wollen.

Sanierungspflicht

Baumit gegen Dämmzwang

Auch deshalb spricht sich Baumit Österreich GEGEN die Position des EU-Parlament aus und sieht auch eine mit Ausnahmen versehene Pflicht kritisch. Natürlich nicht, weil wir dagegen sind, dass europaweit im großen Stil gedämmt wird. Im Gegenteil: Wir sind fest davon überzeugt, dass die aktuellen Anstrengungen vervielfacht werden müssen und es dafür auch gemeinsame und ambitionierte Regelungen in Europa braucht. Aber wir sind der Ansicht, dass es für eine gute Sache eben keinen Zwang braucht. Sondern viel mehr braucht es sinnvolle Anreize und eine erhöhte Bewusstseinsbildung.

Baumit setzt auf Argumente und Überzeugung

Baumit möchte mit Argumenten und Fakten, mit Qualität und Überzeugung punkten. Wir wollen die Menschen in jenen Ländern, in denen wir aktiv sind, für das Dämmen begeistern. Die Tatsachen sprechen für sich: Eine Dämmung spart Geld, weil ein geringerer Energieverbrauch auch deutlich geringere Energiekosten bedeutet. Und das jeden Tag, Jahr für Jahr, über viele Jahrzehnte. Dadurch hat man die Ausgaben für die Fassadendämmung in durchschnittlich weniger als 10 Jahren eingespielt. Steigende Energiepreise und attraktivere Förderungen führen dazu, dass sich die Investition immer schneller rechnet.

Anreize und Bewusstseinsbildung statt Zwang

Der europäischen Akteure wären also gut beraten, geeignete Rahmenbedingungen für einen dringend notwendigen Sanierungs-Boom zu gestalten. Ja, dazu gehören auch ambitionierte Ziele und klare (rechtliche) Vorgaben. Und es wird anfangs auch etwas kosten, Förderungen und wirtschaftliche Anreize müssen erhöht werden, um die Anfangshürde der hohen Investitionskosten für die Bevölkerung überwindbar zu machen. Auch, aber nicht nur, für sozial Schwächere. Dazu braucht es aus unserer Sicht eben keinen Zwang, keine Verbote und keine Pflicht zur Sanierung. Da geben wir, zumindest in diesem Punkt, ausnahmsweise der BILD-Zeitung recht – auch wenn wir es hier im Blogbeitrag anders formuliert haben.

Quellenverzeichnis

Bild Zeitung: Wir haben Angst um unser Zuhause! [online]: https://www.bild.de/bild-plus/news/inland/news-inland/sanierungs-wahnsinn-deutsche-haben-angst-um-ihrzuhause-83261626.bild.html [abgerufen am 27.07.2023]
Europäische Komission: Im Blickpunkt – Energieeffizienz von Gebäuden [online]: https://commission.europa.eu/news/focus-energy-efficiency-buildings-2020-02-17_de [abgerufen am 27.07.2023]
Europäische Kommission: Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden (Neufassung) [online]: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:52021PC0802&from=DE  [abgerufen am 27.07.2023]
Energiemagazin Österreich: Der Energieausweis für Häuser und Wohnungen [online]: https://www.energiemagazin.at/der-energieausweis-fur-haeuser-und-wohnungen/ [abgerufen am 27.07.2023]
Europäischer Rat: „Fit für 55“: Rat einigt sich auf strengere Vorschriften für die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden [online]: https://www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/2022/10/25/fit-for-55-council-agrees-on-stricter-rules-for-energy-performance-of-buildings/  [abgerufen am 27.07.2023]
Der Standard: Die EU-„Sanierungspflicht“ lässt die Wogen hochgehen [online]: https://www.derstandard.at/story/2000144718045/die-eu-sanierungspflicht-laesst-diewogen-hochgehen  [abgerufen am 27.07.2023]
Bild Zeitung: So teuer wird die Zwangssanierung [online]: https://www.bild.de/bild-plus/politik/inland/politik-inland/so-teuer-wird-die-zwangssanierung-die-rechnung-fuerwohnung-und-einfamilienhaus-83259424.bild.html  [abgerufen am 27.07.2023]
Der Spiegel: Die EU wälzt einen Großteil des Klimaschutzes auf die Bürger ab [online]: https://www.spiegel.de/wirtschaft/sanierungspflicht-fuer-immobilien-expertin-warnt-vorquasi-enteignung-von-hausbesitzern-a-765c43a7-e292-426c-9e74-97ccdcae53fc [abgerufen am 27.07.2023]

FAQ

Kommt die Dämmpflicht wirklich?

Das kommt darauf an, wie die Verhandlungen auf EU-Ebene verlaufen. Im ersten Schritt hat das EU-Parlament vorgeschlagen, die EU-Gebäudeeffizienz-Richtlinie zu verschärfen. Das bedeutet, dass ab einer bestimmten Energieklasse die thermische Sanierung verpflichtend sein soll.

Kann man uns zum Dämmen zwingen?

Leider haben die Medien hier verfrüht Aufregung und Empörung ausgelöst. Eigentlich sollte man sich die Frage stellen, ob im individuellen Fall Dämmen nicht ohnehin sinnvoll wäre. Eine Sanierungspflicht wird zwar diskutiert, doch hier geht es nur um Gebäude mit wirklich schlechter Energiebilanz. Derzeit besteht aber dazu keine Pflicht.

Was ist eine schlechte Energiebilanz?

Die Energiebilanz eines Gebäudes wird im Energieausweis ausgewiesen. In Österreich wird die Energieeffizienzklasse auf einer Skala von A++ bis G. Alte, unsanierte Gebäude sind ganz unten in der Skala zu finden. In Österreich bedeutet „G“, dass das Haus einen Bedarf an Heizwärme von über 250 kWh/m2 pro Jahr hat.

Wer soll das bezahlen, wenn die Dämmpflicht kommt?

Ganz abgesehen von einer „Dämmpflicht“ gibt es in Österreich attraktive Förderungen für Dämmwillige – sowohl auf Bundes- also auch auf Landesebene. Dennoch wird es nötig sein, die Menschen noch stärker finanziell zu unterstützen.

Welche Gebäude kommen zuerst dran, wenn die Dämmpflicht kommt?

Klarerweise wird mit den Gebäuden begonnen, die energetisch am schlechtesten sind. Von „G“ und „F“ sollte man zumindest auf „E“ kommen. 

Gelten neue Fenster auch als Dämmung?

Ein Fenstertausch auf eine Dreifachverglasung senkt natürlich den Energieverbrauch auch, aber zusammen mit einer Dämmung der Außenwände, der Kellerdecke und des Daches erreicht man einen viel größere Energieeinsparung. Wenn, dann sollte man ein Sanierungskonzept zusammen mit einem Energieexperten erstellen, um hier effizient vorzugehen.

Genügt es bei der Sanierung, die alte Heizung zu tauschen?

Das kommt auf den energetischen Zustand der Immobilie an. Ist sie bereits gut gedämmt und nur die Heizung in die Jahre gekommen, kann diese Maßnahme durchaus helfen. Wenn sie allerdings eine schlechte Energieeffizienzklasse aufweist, sollte man unbedingt zuerst dämmen, um den Energieverbrauch zu senken. Im nächsten Schritt kann man dann z.B. die alte Ölheizung gegen eine richtige dimensionierte Wärmepumpe austauschen.

Warum will die EU eine Dämmpflicht einführen?

Wir haben EU-weite Klimaziele vereinbart, die nur erreicht werden können, wenn entsprechend gedämmt wird. Die aktuelle Dämmquote lässt errechnen, dass die EU bei gleichbleibendem Sanierungstempo dieses Ziel nicht erreichen kann. Die „Pflicht“ ist aber noch nicht beschlossen, aktuell ist es nur ein Vorschlag. Hier wird es noch einige Diskussionen geben müssen.

Autor: Eli Widecki

Leitung Stabstelle Energiestrategie und Kreislaufwirtschaft

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